1933 – Kulturbruch in Deutschland

Bis zum Machtantritt der Nationalsozialisten existierten im liberalen Kulturleben der Weimarer Republik mehrere verschiedene Musikrichtungen, deren Protagonisten einander ohne ideologische Berührungsängste begegneten und sich in dem dem offenen Musikmilieu wechselseitig bei der Weiterentwicklung ihrer Genres inspirierten. Doch mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Kanzler des Deutschen Reiches am 30. Januar 1933 und dem Sieg der NSDAP bei der Reichstagswahl im März 1933 wurden die Weichen für einen irreversiblen Kulturbruch gestellt.

Gleich nach der Machtübertragung ließen die Nationalsozialisten Komponisten und Musiker der E-Musik-Avantgarde – der atonalen Musik und der Zwölfton-Musik – sowie des Jazz und des Swing gezielt an ihrer Berufsausübung behindern. Die Veröffentlichung und Aufführung ihrer Werke wurde verboten, Musiker, die in öffentlichen Ämtern tätig waren – etwa in Schulen oder Universitäten –, wurden ihrer Ämter enthoben, Musiker, die in Orchestern oder Bands spielten, durften nicht mehr auftreten. Mit Inkrafttreten der Nürnberger Gesetze 1935 galt für jüdische und ausländische Musiker ein generelles  Auftrittsverbot. Für alle Betroffenen bedeutete dies, ihren Lebensunterhalt nicht mehr verdienen zu können und ihrer Existenzgrundlage beraubt zu sein.

Plakat der Ausstellung „Das verdächtige Saxophon. ‚Entartete Musik‘ im NS-Staat“, in der der Musikhistoriker Albrecht Dümling 1988 die nationalsozialistische Propaganda-Ausstellung „Entartete Musik“ (Düsseldorf 1938) rekonstruiert und kommentiert hat.

Die Nationalsozialisten machten mit grotesken Behauptungen und Unterstellungen Propaganda gegen die verhasste Musik, die sie als „entartet“ diffamierten: Atonalität widerstrebe „dem Rhythmus des Blutes und der Seele des deutschen Volkes“ und sei eine „Kulturverfallserscheinung wesentlich unter jüdischen Vorzeichen“. Dahinter vermuteten sie „Kräfte außermusikalischer Art als Drahtzieher“ und ein politisches Programm, da – so die Argumentation – Anarchie in der Musik auch zu Anarchie im Staat führe.

Auch am Jazz fürchteten sie nicht nur die ungewohnte Rhythmik, die zu neuen körperbetonten Formen des Tanzes anregte, sondern weiterreichende außermusikalische Wirkungen. Denn die Jazzkultur wurde zur Projektionsfläche einer fundamentalen gesellschaftlichen Transformation. Mit ihrer Modernität, Urbanität und Ursprünglichkeit, mit der dirigentenlosen Jazzkapelle als Modell für Demokratie oder gar Kommunismus stand sie für die Ablösung überkommener Normen und Werte des untergegangenen Kaiserreichs. Ähnliches galt für den Swing, dessen Anhänger einen ungezwungenen, vom American Way of Life beeinflussten Lebensstil pflegten. Beide U-Musikrichtungen wurden zum Austragungsort eines Generationen- und Kulturkonfliktes, den die Nationalsozialisten mit mörderischer Konsequenz ausfochten.